Mit dem Skoliose-Korsett unterwegs auf Strohballen

Annika: Gewinnerin Fotowettbewerb Sommer 2024

Ich heiße Annika, bin momentan 16 Jahre alt und in der 11. Klasse. Mein Korsett habe ich seit April 2024, das heißt jetzt so ungefähr ein halbes Jahr. Diagnostiziert wurde meine Skoliose durch meinen damaligen besten Freund, der bemerkt hat, dass meine rechte Brustkorbseite viel höher liegt als die andere.

Das war im Dezember 2023. Ab da ist für mich erstmal eine Welt zusammengebrochen und ich konnte mich mit dem Gedanken an ein Korsett oder irgendwie krank zu sein, überhaupt nicht abfinden.

In der Zeit war mein bester Freund Ruben eine unglaubliche Hilfe. Er hat mich wieder mutig gemacht und mir geholfen, das alles zu akzeptieren.

Wegen meiner Skoliose und allen Orthopädenterminen, Physios und Sanitätshausanproben, die wir deshalb zusammen erlebt haben, haben wir gemerkt, wie viel wir uns eigentlich wert sind. Seit Januar 2024 sind wir ein Paar und das ist eines der schönsten Sachen, die mir je hätten passieren können.

Er hat einen wundervollen und lustigen Umgang mit meinem Korsett. Er bindet Sachen daran fest, zieht mich daran hoch oder macht Witze. Ich weiß, dass auch er unglaubliche Opfer bringt, wenn er mich umarmt und dann Plastik spürt. Ich bin dafür unendlich dankbar.

Wegen ihm und so viel Mut, den er mir gegeben hat, trage ich mein Korsett offen und bin sogar stolz darauf. Nicht auf die Druckstellen oder Eigenschweißreaktionen, aber auf mich, dass ich es schaffe, es zu tragen. Im Endeffekt ist es ein Teil von mir, den man ruhig bemerken darf.

Skoliose-Korsett in einer Wiese

Die Blicke, die man dafür manchmal abbekommt, waren auch für mich besonders am Anfang sehr fremd. Mittlerweile fühle ich mich aber fast schon geehrt, angeschaut zu werden und antworte gerne und offen, wenn Leute sich trauen zu fragen, statt zu schauen.

Ruben hat mich nach meiner Diagnose zur THW-Jugend mitgenommen. Trotz Korsett war ich dort bei allen sofort willkommen und werde vollständig mit allen Nachteilen akzeptiert.

Mittlerweile liebe ich dieses Hobby genauso wie er und habe schon so viel erleben dürfen: Ich war mit meinem Korsett in Föhren auf dem Bundesjugendlager 2024, habe mit Korsett und Uniform auf Festen geholfen, wir haben Bergungseinsätze und Menschenrettung geübt und noch nie hatte ich dort das Gefühl, mich wegen meinem Korsett verstecken zu müssen.

Was ich persönlich überhaupt nicht leiden kann, ist wenn mich deshalb jemand unterschätzt oder mich absichtlich vorsichtig behandelt. Auch das passiert im THW nicht. Ich werde wie die anderen behandelt, und das genieße ich wirklich sehr.

Auch außerhalb vom THW habe ich für mich beschlossen, das Korsett mit Stolz zu tragen und alles zu erleben, was ich möchte. Ich war diesen Sommer unter anderem mit meiner Familie auf Teneriffa auf dem Vulkan, mit Ruben campen am Bodensee, bin mit Gepäck mit dem Zug durch Deutschland gefahren und habe meine Großeltern besucht.

Gerade meine Familie hilft mir auch unglaublich viel: Meine kleine Schwester (7) nennt mich immer „Schildkröte“ und fragt, warum ich meinen Panzer nicht anhabe, wenn ich grade eine Pause mache. Mein Bruder kriegt den ein oder anderen Schlag ganz ohne Anstrengung zurück, wenn er daneben schlägt.

Meine Hobbys und Interessen lebe ich genauso wie vorher, weil sie aufzugeben wäre viel zu schade. Später will ich Notfallsanitäterin werden und natürlich weiter im THW bleiben. In meiner Kirchengemeinde mache ich Jungschar und habe diesen Sommer meinen JuLeiCa-Antrag gestellt.

Egal wie viele nervige Punkte und Nachteile mein Korsett für mich hat, im Endeffekt hat es mir ein Leben gegeben von dem ich nur hätte träumen können. Ich habe einen wundervollen Freund, der mich über alles liebt, bin im THW, habe eine so tolle Familie und habe so viel an Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein gewinnen können. Insofern war und ist mein Schicksal, wie schlimm es am Anfang auch immer gewirkt hat, mittlerweile mein größtes Geschenk.

Natürlich hat es auch seinen einen oder anderen Nachteil, zum Beispiel den Sommer… Mein bester Tipp war es dieses Jahr wirklich, sich mal einen Ventilator in den Rücken zu halten. Einen Schritt weiter könnte man den da auch fest installieren.

Allen anderen Mädels (und auch Jungs) mit Korsett kann ich nur empfehlen, das Korsett mal offen zu tragen. Vielleicht sind die Blicke seltsam, aber glaubt mir: Die meisten Leute sehen die mentale Stärke, die dahinter steht, das durchzuziehen. Ihr erspart euch so viele Gedanken über euer Aussehen und wie ihr das Korsett am besten versteckt und könnt so viel freier und vielleicht glücklicher durchs Leben gehen. Traut euch auch, Fragen zu beantworten. Nur so werden die Leute um euch dafür sensibilisiert und können beim nächsten Mal verständnisvoller reagieren.

Danke an Ruben, Kirsten, Vinzenz, Mama, Papa, meine Freundinnen, die ganze THW-Jugend Leonberg und natürlich an euch. Danke für die Möglichkeit, meine Geschichte zu erzählen.

 

Annika: Gewinnerin Fotowettbewerb Sommer 2024